Im Rahmen ihrer umfangreichen Bau- und Ausstellungspartnerschaft mit dem Massachusetts Museum of Contemporary Art (MASS MoCA) hat die Hall Art Foundation im September 2013 auf einer Fläche von annähernd 1000 Quadratmetern in einem speziell umgewidmeten Gebäude des MASS MoCA eine Langzeitausstellung mit Skulpturen und Gemälden von Anselm Kiefer eröffnet.
Zu den Ausstellungsstücken gehören Étroits sont les Vaisseaux (Narrow are the Vessels), (2002) - eine 25 Meter lange wellenförmige Skulptur aus Beton, freiliegendem Bewehrungsstahl und Blei, The Women of the Revolution (Les Femmes de la Révolution) (1992/2013) - eine Installation mit mehr als 20 Betten aus Blei und einem großflächigen bleiernen Laken mit Fotografie und Velimir Chlebnikov (2004) – ein 93 Quadratmeter großer Stahlpavillon mit 30 Gemälden zum Thema Seekrieg, die von den abenteuerlichen Zahlentheorien des experimentellen russischen Dichters Velimir Chlebnikov inspiriert sind.
Anselm Kiefer, der das MASS MoCA erstmals 1990 besuchte, als es sich noch im Stadium früher Planung befand, zählt zu den bekanntesten und wichtigsten heute noch lebenden deutschen Nachkriegskünstlern. Geboren1945 in den letzten Tagen des kollabierenden Dritten Reichs in Süddeutschland, kannte Kiefer das Leben im geteilten Nachkriegsdeutschland aus unmittelbarer eigener Erfahrung. In seinem gesamten Werk setzt sich Kiefer mit Geschichte auseinander, wobei er, mal in unverblümter Direktheit, mal auf lyrische Weise, auf kontroverse und auch tabuisierte Themen der Gegenwart eingeht. Häufig schöpft Kiefer das Material seines Schaffens aus Literatur und Geschichte - so auch im Gemäldezyklus Velimir Chlebnikov (2004).
Viele Arbeiten Kiefers sind großformatig, was wiederum besondere Anforderungen an die Ausstellungsräume stellt (wie im Falle der aktuellen Ausstellung). Häufig baut der Künstler seine Bilderwelt auf Fotos auf, schichtet auf massivem Untergrund Erde, Blei, Stroh und andere Materialien übereinander, so dass sie einen „Boden“ bilden, der buchstäblich die Erde selbst verkörpert. In diese dick aufgetragenen Flächen bettet Kiefer textuelle oder symbolische Verweise auf historische Persönlichkeiten oder Orte ein. Diese werden zu Chiffren, mit denen Kiefer historische Situationen heraufbeschwört und verarbeitet.
1965 bricht Kiefer sein Jurastudium ab und wechselt zu den bildenden Künsten. Seine erste Einzelausstellung findet 1969 statt. In den frühen Siebzigern studiert er bei dem Konzeptualisten Joseph Beuys und lässt sich davon inspirieren, wie dieser durch eine Verknüpfung aus Mythen, Metaphern und persönlichen Symbolen Geschichte bewusst und verständlich zu machen sucht. Der Künstler hat mehrfach beschrieben, dass sein eigenes Kunstschaffen von der beuysschen Philosophie angeregt sei: „Malen bedeutet für mich nicht einfach das Schaffen einer Illusion. Ich male Bilder nicht, um etwas darzustellen. Ich male nur, wenn ich eine Erscheinung hatte, einen Schock, wenn ich etwas verarbeiten will. Etwas, das Besitz von mir ergriffen hat und wovon ich mich selbst befreien muss. Etwas, das ich transformieren und verstoffwechseln muss und das mich dadurch zum Malen antreibt.“
Wie Beuys, dessen Arbeiten häufig aus vergänglichen organischen Materialien gefertigt waren (darunter Blut, Fett und Honig), verarbeitet auch Kiefer in vielen seiner Werke ungewöhnliche, flüchtige Materialien wie Asche, Lehm oder getrocknetes Pflanzenmaterial. Mit ihrer ungehobelten Art und ihren ausladend-narrativen Formaten, die oftmals verkohlte Landschaften und historische, manchmal auch apokalyptische Szenen evozieren, entsprachen Kiefers Arbeiten nicht dem reduzierten Stil der Minimalisten oder Konzeptualisten, der sich in seiner Studienzeit durchsetzte. Stattdessen schuf er massive, dunkle Gemälde, Bücher aus breiten, bleiernen Seiten und gegenständliche Arbeiten, die auf Elemente der deutschen Folklore zurückgriffen und unter anderem von Caspar David Friedrich inspiriert waren. Maßgeblich hat Dichtung (insbesondere das Werk von Paul Celan und Ingeborg Bachmann) Kiefers Themenwahl - deutsche Geschichte und die Schrecken des Holocaust - geprägt, genauso wie die theologischen Konzepte der Kabbala. Außer Gemälden fertigt Kiefer auch Zeichnungen, Aquarelle, Objektvitrinen, Holzschnitte und Bühnenbilder.
Nach der Begründung einer breit angelegten Werkstattarbeit in Deutschland und später Barjac (Südfrankreich) lebt und arbeitet Kiefer heute überwiegend in Paris. Sein 2007 durch den Louvre in Auftrag gegebenes Werk für das monumentale Treppenhaus zwischen den Galerien für Ägyptische und Mesopotamische Antike ist dort das erste ständige Exponat eines lebenden Künstlers seit der Beauftragung Georges Braques mit drei Deckengemälden im Jahre 1953. In jüngster Zeit waren Ausstellungen mit einer umfangreichen Retrospektive im Modern Art Museum of Fort Worth, im Musée d’Art Contemporain de Montréal, im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington D.C. sowie im San Francisco Museum of Modern Art zu sehen. Für die Eröffnungs-Monumenta im Pariser Grand Palais 2007 wurde Kiefer damit beauftragt, speziell für den Saal des Grand Palais eine Skulpturen- und Gemäldeausstellung zu schaffen.
„Es ist gut möglich, dass wir diese Eröffnungs-Ausstellung von Zeit zu Zeit rotieren lassen oder ausbauen“ sagt Andrew Hall. „Wir haben die enge inhaltliche und formale Zusammenarbeit mit Anselm und seiner Werkstatt sehr genossen und freuen uns auf Möglichkeiten, dies zu wiederholen.“
Die Hall Art Foundation am Massachusetts Museum of Contemporary Art ist saisonal geöffnet, Öffnungszeiten entsprechend den anderen Galerien am MASS MoCA: täglich außer dienstags, 11.00 - 17.00 Uhr.
Weitere Informationen finden Sie unter MASS MoCA.